Sonntag, 15. Mai 2011

Live in HD - Die Walküre - New York, 14.05.2011

Mit etwa 35 Minuten Verspätung ging die in New York die Vorstellung von Wagners "Walküre" los. Grund dafür waren die Tücken der anspruchsvollen Bühnentechnik. Doch bevor man dieses technsiche Meisterwerk obt, muss man zuerst das hervorragende Sängerensemble würdigen:

Der Wildschütz, Bonn 08.05.2011


Ohne Vorwarnung platzte Dietrich Hilsdorfs Sicht auf Lortzings Meisterwerk „der Wildschütz“ in das Auditorium der Bonner Oper. Nicht die Ouvertüre eröffnete das Werk sondern direkt die Hochzeit des Schulmeister Bacculus mit seinem jungen Gretchen. Auf die geniale Ouvertüre wartete man den ganzen Abend leider vergeblich, und dabei hätte das Beethoven Orchester Bonn diesen „Solobeitrag“ doch so sehr verdient gehabt. Robin Engelen führte das Orchester sehr ausgewogen durch die Partitur, so dass man viele Facetten vernehmen konnte, die Lortzings Musik so einmalig macht. Zum einen natürlich die mozartsche Maschinerie, wenn die Geigen wie Nadelstiche ihre Achteln platzierten. Zum anderen die Wagner ankündigende Romantik, wenn der Bläserapperat in naturstürmenden Bildern schwelgte. Und in den Ensembles forcierte Engelen die Tempi, als hätte Lortzing auch nach Italien auf den Wahnwitz Rossinis geschaut. In Bonn wurde nicht nur begleitet sondern farbenreich interpretiert. Kleinere Unstimmigkeiten zwischen Graben und Bühne seien nur der Form halber angemerkt.

Die gestrichene Ouvertüre war also der einzige Vorwurf, den man Hilsdorf machen konnte, denn ansonsten hat er alles richtig gemacht. Ganz klassisch zeigte er die Oper, mit sicherem Gespür für die Satire ohne dabei je ins Comichafte abzugleiten und einer großen Prise Humor, die aus der durchaus ernsten Handlung und den entlarvenden Dialogen wie von selbst entstand. Das sehr aufmerksame und erfreulich konzentriert ruhige Publikum wurde von den Pointen zielsicher erwischt. „Der Wildschütz oder in unmoralisches Angebot“ hieß bei ihm die Oper, was „die Stimme der Natur“ ersetzte. Tatsächlich hatte Hilsdorf mehr die Moral im Blick, als die Natur, denn in Bonn spielte die ganze Oper in zwei standesgemäßen Räumen. Der erste Akt im tristen Klassenzimmer, dessen Wänden  ehrwürdige Parolen wie „Bete und arbeite“ zierten und an denen das ABC mit Lippenhaltung erklärt wurde. Als passender Gegensatz dazu die herrschaftlichen Räume des Grafenpaares Eberbach mit schmucken Wänden, Leuchtern und einer herrlich griechisch anmutenden Kleinbühne. Dieser Anblick provozierte zu Recht Applaus für die genialen Arbeiteten von Dieter Richter. In dieser Pracht zeigten sich die wie durch einen Wasserschaden verwischten Farben oben links wie ein Verweis auf die dahinschwindende Moral der Bewohner und Besucher dieses Saales. Dass man den Wildschütz wohl noch nie so schön gesehen hatte, verdankte man auch den Kostümen von Renate Schmitzer. Die Bürgerlichen trugen unterwürfiges Schwarz und Grau, die Herrschaften schmucke Reiteruniformen und weiße Unschuldsanzüge.

Hilsdorf und sein Team verorteten den Wildschütz also optisch und auch in der Übertitel-Anlage (die man trotz der sicheren Aussprache auch noch mehr hätte nutzen können) im Jahr 1842. Keine modernen Mätzchen stören die Handlung und die Personenführung war hervorragend. Der prächtig singende Chor (Einstudierung: Sibylle Wagner), bereichert durch den sicheren Kinderchor der Bonner Oper (Einstudierung: Ekaterina Klewitz), wurde in die Szenen sehr souverän eingebunden, musste im ersten Akt unterwürfig dem Grafen den Rücken kehren, als könnten zu viele Blicke dessen längst untergrabenes Saubermann-Images zerstören.  Hilsdorf hatte die Personen mit einem hervorragendem Ensemble so akribisch erarbeitet, dass man selbst eine Randfigur wie die Nanette in der präsenten Darstellung von Charlotte Quadt als eigene Persönlichkeit wahr nahm. Das Gretchen von Kathrin Leidig war sowohl vokal als auch szenisch weit entfernt von einem niedlichen Mädchen. Resolut machte sie auf der ihr ganz und gar nicht behagenden Hochzeit den Mund zur zweiten Strophe des Hochzeitsliedes auf, die bei ihrem Mann als auch bei den Gästen sehr deutlich gar nicht vorgesehen war.

Die adeligen Damen strotzten nur so von selbstbewusster Ausstrahlung: Julia Kamenik fehlte es noch ein wenig an leuchtender Führungskraft in den Ensembles, doch ihre Baronin Freimann konnte sich deutlich abgrenzen von der Rolle des Gretchen, zeigte das Verkleidungsspiel als typische Laune der Adeligen. Solche Spielchen hatte die Gräfin Eberbach nicht nötig, war sie bei ihren Untertanen doch längst als nahezu unnahbare Diva bekannt, die sich schnell zurückzog, als man ihrer Vorlesung nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit folgte. Anjara I. Bartz spiegelte ihr würdevolles, aufrechtes Auftreten auch in ihrer klangvollen Stimme wieder. An das casanovahafte Verhalten ihres Mannes hat sie sich längst gewöhnt: Giorgos Kanaris setzte seinen etwas monochromen Bariton sehr charmant und gewinnbringend ein. Sein Graf war immer bemüht um das sympathische Auftreten vor dem Volk, hinten rum aber durchaus eiskalt verlogen. Kaum einen Deut besser als er nur durch die Umstände etwas anders geprägt war der Baron Kronthal, den Mirko Roschkowski mit seinem herrlich lyrischen Tenor zwischen sauberen Strahlemann und kalkulierendem Käufer anlegte. Zwischen den Herrschaften fühlte sich Bühnenveteran Carlos Krause als Haushofmeister Pankratius sichtlich wohl und kommentierte das Geschehen mit einem abgeklärtem „Alles närrisch“. Renatus Mészár schließlich vollbrachte das Kunststück und förderte die Komik des Baculus aus dessen bedrohlicher Ernsthaftigkeit zu Tage. Stimmlich wusste er diese Mischung aus plappernder Unsicherheit und gebellter Dominanz mit einem gehörigem Pfund Bass voll auszuspielen – eine ganz starke Leistung! Seine kriecherische Unterwürfigkeit gegenüber dem Grafen wurde nur noch überboten durch die Eifersucht um Gretchen, so dass er sogar das Gewehr gegen seinen Herrn hob.

Schon hier war absehbar, dass Hilsdorf sich auch die unterschwellige politische Dimension des Werkes vornehmen würde. Im Finale des dritten Aktes schließlich erschienen einige Studenten mit Deutschlandfahnen als Vorreiter für die Märzrevolution 1848 und als die anwesenden Bauern ihren Grafen mit Sensen bedrohten, regnete es Schriften von Himmel: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“, „Die Justiz ist in Deutschland seit Jahrhunderten die Hure der deutschen Fürsten“ und „Die Verfassungen in Deutschland sind nichts als leeres Stroh, woraus die Fürsten die Körner für sich herausgeklopft haben“ war darauf zu lesen.
Das Bonner Publikum nahm diesen Moment als finale Zuspitzung der Inszenierung wahr und schloss Hilsdorf in seinen enthusiastischen Applaus mit ein. Vor allem aber das sehr ambitionierte  Sängerensemble  wurde begeistert gefeiert, mit Steigerungen bei der dominierenden Herrenriege. Ein voller Erfolg für Bonn und Lortzing!

Das Rheingold - Gelsenkirchen, 23.04.2011

Hätte Wagner „das Rheingold“ nicht ohne Pause komponiert, so wäre wohl im Musiktheater im Revier nach der ersten Szene „In der Tiefe des Rheins“ ein Applaus ausgebrochen, den man sonst nur nach dem ersten Walküren-Akt zu hören bekommt.  Schon die erste halbe Stunde demonstrierte eine musikalische Klasse, die das „Rheingold“ wirklich veredelte.  Kaum zu glauben, dass Rasmus Baumann seinen ersten Wagner überhaupt dirigierte und auch die etwa 100köpfig besetzte Neue Philharmonie Westfalen hatte sich seit etwa  8 Jahren nicht mehr mit Wagner auseinander gesetzt. Allein das Vorspiel schimmerte schon in all seiner mystischen Pracht, steigerte sich zu den wogenden Wellen des Rheins. Rasmus Baumann dirigierte den Abend wundervoll  ausbalanciert: Viel Zeit ließ er sich für die lyrisch-mystischen Stellen (Tarnhelm-Motiv, Entsagnungs-Motiv), wusste aber auch die dramatischen Zuspitzungen mit viel rhythmischen Gespür zu leiten, die er durch kleine Sprünge auf seinem Pult unterstrich.  
In der ersten Szene herrschte eine musikalische Geschlossenheit, die schon an Perfektion angrenzte und intensive Momente mit Gänsehaut-Garantie erreichte. Da strahlte das Terzett der  Rheintöchter, wie man es selten so gehört hat. Angeführt wurde es von Alfia Kamalova, die mit ihrem wundervoll schwebenden Sopran die leuchtenden Höhen im Terzett ausmachte. Dagegen hoben sich die dunkleren Stimmen von Dorin Rahardja und Almuth Herbst sehr gut ab und bildeten ein sicheres Fundament. Da es eine konzertante Aufführung am Notenständer war, blieb natürlich die szenische Verspottung Alberichs aus. In dieser musikalisch glücklichen Konstellation  wusste auch Björn Waag als Alberich die gedemütigte Person zu mimen, ohne aber jemals eine wirklich gesungene Interpretation zu verlassen. Sein Alberich konnte auch zwergisch keifen, doch vor allem lieferte eine menschliche Charakterstudie ab, in der sein fast tenoraler Bariton mit enormer Durchschlagskraft und sehr guter Aussprache fesselte und begeisterte. 

Auch ohne die körperliche Aktion blieb der Kontakt zwischen den Personen den ganzen Abend über nicht aus und jeder Sänger  wusste auf seine Art seiner Rolle ein Profil zu geben. Andreas Macco wirkte als Wotan fast statuarisch unbeteiligt, so dass er fast gelassen über den Dingen zu stehen schien und erst bei der Begegnung mit Erda seine göttliche Überheblichkeit  verlor. Auch stimmlich war sein Wotan geprägt von einer bodenständigen Sicherheit. Gerade aber im Vergleich mit dem fulminanten Björn Waag zog er deutlich den Kürzeren. Deutlich profilieren konnten sich im zweiten Bild auch das kleinere Personal. Sichtbar getrennt standen sie auf der Bühne: Links die Götter-Familie, rechts die Riesen mit Freia und so flog zu den besten Momenten der Kopf zwischen den Parteien wie bei einem Tennisspiel hin und her. Dong-Won Seo verkörperte den sanfteren Riesen Fasolt mit lyrischem Bass, während Joachim G. Maaß den gierigen Tonfall des Fafner punktgenau traf. Paroli bekamen sie mit zupackenden Stimmen von Pjotr Prochera (Donner) und Lars Oliver Rühl (Froh), die in ihren eher undankbaren Rollen nie die Spannung verloren und auch in ihren langen Pausen große Präsenz zeigten. Zu Gefallen wusste auch Petra Schmidt als Freia.

Mächtig durcheinander gewirbelt wurde die Aufführung durch William Saetre als Loge und leider nicht nur im positiven Sinne. Schon bei seinem Auftritt verscheuchte er kurzerhand Gudrun Pelker  von ihrem Pult, um sich zwischen Wotan und dem Dirigenten zu positionieren und von dort aus listig  zu agieren. Mag der Charaktertenor durchaus prädestiniert für den windigen Feuergott sein, lies er vor allem in Punkte Genauigkeit viele Wünsche offen. Viele falsche, verspätete oder verfrühte Einsätze brachten selbst das bis dahin so sichere Orchester arg ins Schwimmen, so dass für einige Minuten doch der chaotische Aspekt der Figur unfreiwillig im Vordergrund stand. Doch Rasmus Baumann suchte aufmerksam den Kontakt mit ihm, um diese Abendschwäche so gering wie möglich zu halten. So geriet besonders die dritte Szene zu einem wahren Feuerwerk des Konversationstons, der vom Orchester noch zusätzlich angefeuert wurde. Bei Mark Bowman-Hester fiel vor allem auf wie kurz die Rolle des Mime ist. Gerne hätte man mehr von diesem tollen Tenor gehört.

Dem vierten Bild setzte Gudrun Pelker die Krone auf: Nachdem Björn Waag mit einem packendem Fluch die Bühne verlassen hatte, wechselte sie von der Rolle der Fricka, der sie einen resolut-fordernden Ton gegeben hatte, zu der Göttin Erda. Deren Warnung klang nun in aller dunklen Pracht in berührender Natürlichkeit. Für diese Doppelrolle bekam sie am Ende zu Recht lautstarke Ovationen. Überhaupt war das Publikum in Gelsenkirchen sehr aufmerksam und begeistert, feierte die Musiker schon nach dem letzten Ton mit vielen Bravo-Rufen, wusste dabei aber auch von Sänger zu Sänger differenzieren.  Ganz hoch in der Publikumsgunst stand natürlich auch Björn Waag als Alberich.

Leider wird dies der vorerst einzige Ausflug in die Welt von Wagners „Ring“ bleiben. Schade, hätte doch gerade Rasmus Baumann mit seiner Interpretation auch die Auseinandersetzung mit den weiteren Teilen zu einem spannenden Ereignis werden lassen. Dieses „Rheingold“ wird mit seiner musikalischen Qualität, wo Wagner noch gesungen und nicht gebrüllt wurde, noch lange im Gedächtnis bleiben.