Sonntag, 15. Mai 2011

Der Wildschütz, Bonn 08.05.2011


Ohne Vorwarnung platzte Dietrich Hilsdorfs Sicht auf Lortzings Meisterwerk „der Wildschütz“ in das Auditorium der Bonner Oper. Nicht die Ouvertüre eröffnete das Werk sondern direkt die Hochzeit des Schulmeister Bacculus mit seinem jungen Gretchen. Auf die geniale Ouvertüre wartete man den ganzen Abend leider vergeblich, und dabei hätte das Beethoven Orchester Bonn diesen „Solobeitrag“ doch so sehr verdient gehabt. Robin Engelen führte das Orchester sehr ausgewogen durch die Partitur, so dass man viele Facetten vernehmen konnte, die Lortzings Musik so einmalig macht. Zum einen natürlich die mozartsche Maschinerie, wenn die Geigen wie Nadelstiche ihre Achteln platzierten. Zum anderen die Wagner ankündigende Romantik, wenn der Bläserapperat in naturstürmenden Bildern schwelgte. Und in den Ensembles forcierte Engelen die Tempi, als hätte Lortzing auch nach Italien auf den Wahnwitz Rossinis geschaut. In Bonn wurde nicht nur begleitet sondern farbenreich interpretiert. Kleinere Unstimmigkeiten zwischen Graben und Bühne seien nur der Form halber angemerkt.

Die gestrichene Ouvertüre war also der einzige Vorwurf, den man Hilsdorf machen konnte, denn ansonsten hat er alles richtig gemacht. Ganz klassisch zeigte er die Oper, mit sicherem Gespür für die Satire ohne dabei je ins Comichafte abzugleiten und einer großen Prise Humor, die aus der durchaus ernsten Handlung und den entlarvenden Dialogen wie von selbst entstand. Das sehr aufmerksame und erfreulich konzentriert ruhige Publikum wurde von den Pointen zielsicher erwischt. „Der Wildschütz oder in unmoralisches Angebot“ hieß bei ihm die Oper, was „die Stimme der Natur“ ersetzte. Tatsächlich hatte Hilsdorf mehr die Moral im Blick, als die Natur, denn in Bonn spielte die ganze Oper in zwei standesgemäßen Räumen. Der erste Akt im tristen Klassenzimmer, dessen Wänden  ehrwürdige Parolen wie „Bete und arbeite“ zierten und an denen das ABC mit Lippenhaltung erklärt wurde. Als passender Gegensatz dazu die herrschaftlichen Räume des Grafenpaares Eberbach mit schmucken Wänden, Leuchtern und einer herrlich griechisch anmutenden Kleinbühne. Dieser Anblick provozierte zu Recht Applaus für die genialen Arbeiteten von Dieter Richter. In dieser Pracht zeigten sich die wie durch einen Wasserschaden verwischten Farben oben links wie ein Verweis auf die dahinschwindende Moral der Bewohner und Besucher dieses Saales. Dass man den Wildschütz wohl noch nie so schön gesehen hatte, verdankte man auch den Kostümen von Renate Schmitzer. Die Bürgerlichen trugen unterwürfiges Schwarz und Grau, die Herrschaften schmucke Reiteruniformen und weiße Unschuldsanzüge.

Hilsdorf und sein Team verorteten den Wildschütz also optisch und auch in der Übertitel-Anlage (die man trotz der sicheren Aussprache auch noch mehr hätte nutzen können) im Jahr 1842. Keine modernen Mätzchen stören die Handlung und die Personenführung war hervorragend. Der prächtig singende Chor (Einstudierung: Sibylle Wagner), bereichert durch den sicheren Kinderchor der Bonner Oper (Einstudierung: Ekaterina Klewitz), wurde in die Szenen sehr souverän eingebunden, musste im ersten Akt unterwürfig dem Grafen den Rücken kehren, als könnten zu viele Blicke dessen längst untergrabenes Saubermann-Images zerstören.  Hilsdorf hatte die Personen mit einem hervorragendem Ensemble so akribisch erarbeitet, dass man selbst eine Randfigur wie die Nanette in der präsenten Darstellung von Charlotte Quadt als eigene Persönlichkeit wahr nahm. Das Gretchen von Kathrin Leidig war sowohl vokal als auch szenisch weit entfernt von einem niedlichen Mädchen. Resolut machte sie auf der ihr ganz und gar nicht behagenden Hochzeit den Mund zur zweiten Strophe des Hochzeitsliedes auf, die bei ihrem Mann als auch bei den Gästen sehr deutlich gar nicht vorgesehen war.

Die adeligen Damen strotzten nur so von selbstbewusster Ausstrahlung: Julia Kamenik fehlte es noch ein wenig an leuchtender Führungskraft in den Ensembles, doch ihre Baronin Freimann konnte sich deutlich abgrenzen von der Rolle des Gretchen, zeigte das Verkleidungsspiel als typische Laune der Adeligen. Solche Spielchen hatte die Gräfin Eberbach nicht nötig, war sie bei ihren Untertanen doch längst als nahezu unnahbare Diva bekannt, die sich schnell zurückzog, als man ihrer Vorlesung nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit folgte. Anjara I. Bartz spiegelte ihr würdevolles, aufrechtes Auftreten auch in ihrer klangvollen Stimme wieder. An das casanovahafte Verhalten ihres Mannes hat sie sich längst gewöhnt: Giorgos Kanaris setzte seinen etwas monochromen Bariton sehr charmant und gewinnbringend ein. Sein Graf war immer bemüht um das sympathische Auftreten vor dem Volk, hinten rum aber durchaus eiskalt verlogen. Kaum einen Deut besser als er nur durch die Umstände etwas anders geprägt war der Baron Kronthal, den Mirko Roschkowski mit seinem herrlich lyrischen Tenor zwischen sauberen Strahlemann und kalkulierendem Käufer anlegte. Zwischen den Herrschaften fühlte sich Bühnenveteran Carlos Krause als Haushofmeister Pankratius sichtlich wohl und kommentierte das Geschehen mit einem abgeklärtem „Alles närrisch“. Renatus Mészár schließlich vollbrachte das Kunststück und förderte die Komik des Baculus aus dessen bedrohlicher Ernsthaftigkeit zu Tage. Stimmlich wusste er diese Mischung aus plappernder Unsicherheit und gebellter Dominanz mit einem gehörigem Pfund Bass voll auszuspielen – eine ganz starke Leistung! Seine kriecherische Unterwürfigkeit gegenüber dem Grafen wurde nur noch überboten durch die Eifersucht um Gretchen, so dass er sogar das Gewehr gegen seinen Herrn hob.

Schon hier war absehbar, dass Hilsdorf sich auch die unterschwellige politische Dimension des Werkes vornehmen würde. Im Finale des dritten Aktes schließlich erschienen einige Studenten mit Deutschlandfahnen als Vorreiter für die Märzrevolution 1848 und als die anwesenden Bauern ihren Grafen mit Sensen bedrohten, regnete es Schriften von Himmel: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“, „Die Justiz ist in Deutschland seit Jahrhunderten die Hure der deutschen Fürsten“ und „Die Verfassungen in Deutschland sind nichts als leeres Stroh, woraus die Fürsten die Körner für sich herausgeklopft haben“ war darauf zu lesen.
Das Bonner Publikum nahm diesen Moment als finale Zuspitzung der Inszenierung wahr und schloss Hilsdorf in seinen enthusiastischen Applaus mit ein. Vor allem aber das sehr ambitionierte  Sängerensemble  wurde begeistert gefeiert, mit Steigerungen bei der dominierenden Herrenriege. Ein voller Erfolg für Bonn und Lortzing!

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