Der Jugend gehört die Zukunft.
Dass das auch in Sachen Opern-Gesang der Fall ist zeigt einmal mehr
der Wettbewerb „Neue Stimmen“. Wieder einmal arbeiten „alten“
Profis des Geschäfts mit jungen, ambitionierten Sängerinnen
und Sängern aus der ganzen Welt zusammen, um sie auf das
künstlerische Leben vorzubereiten und den besten unter ihnen zu
finden.
1422 hatten sich angemeldet für
das groß angelegte Auswahlverfahren, 15 standen davon im
Semi-Finale kurz davor ihren Traum vom Finale zu erfüllen. Da
die Jury sie über einen längeren Zeitraum begleitet, ist
für sie – im Gegensatz zum Zuschauer – das Konzert keine
Moment-Aufnahme.
Francisco Araiza, Brian Dickie,
Siegfried Jerusalem, Jürgen Kesting, Gustav Kuhn, Bernd Loebe,
Nicholas Payne, Anja Silja und Evamaria Wieser haben unter der
Leitung von Dominique Meyer sicher keine leichte Aufgabe, die Stimmen
(aus) zu sortieren.
Beim Konzert fiel auf, welch
geschlossenes, hohes Niveau die Sängerinnen und Sänger
bieten. Da gibt es im Vergleich zum Jahr 2009 keine Abweichungen nach unten, und nur wenige nach
oben, welche man auch unbedingt im Finale sehen wollte. Dass das
nicht immer so sein muss, und dass die Jury mit einem anderen,
zusätzlichen Wissen entscheiden kann als die Zuschauer, zeigt
das Beispiel Jaquelina Livieri: Den hervorragenden Koloratur-Sopran
mit glasklarem Timbre und stupenden Höhen hätte man gerne
wieder im Finale gehört, doch es sollte anders kommen, woran
evtl ihr noch nicht ganz ausgereiftes Brustregister Schuld haben
könnte.
Faith Sherman hat die schwierige
Aufgabe des Auftaktes und singt „Svegliatevi nel core“ aus
„Giulio Cesare“ ausgesprochen geschmackvoll, sehr
kontrolliert, vielleicht noch eine Spur zu farblos. Ganz anders
hingegen der Mezzo-Sopran Nadezhda Karyazina, die als Isabella in
„Cruda Sorte“ viel zu erzählen hat und dies auch
genüsslich mit dunklem Timbre, perlenden Koloraturen, leichtem
Parlando und etwas unruhiger Körpersprache macht.
Eine gute Figur macht Alexey Lavrov als
Conte Almaviva aus Mozarts Figaro allemal und sein Bariton klingt
passend nobel aristokratisch, doch fehlt für die emotionale
Ausdeutung von „Vedro mentr'io sospiro“ einfach die
mühelose Tiefe. Darüber kann Jongmin Park nur lächeln,
denn sein Bass kann selbst in schwärzester Tiefe noch ein
herrliches Mezza-Voce singen und so macht er Banquos „Come dal
ciel precipita“ zu einer hervorragend gesungenen Geisterstunde.
Bei allen kleinen Einwänden die
hier aufgeführt werden, ist es ein herrliches Konzert mit
herrlichen Stimmen und teilweise sehr seltenen Arien:
Cristina-Antoaneta Pasaroiu beispielsweise singt Desdemonas Lied von
der Weide, doch diesmal nicht von Verdi, sondern aus der Feder
Rossinis und das mit einer wünderschön lyrischen Stimme.
Bariton Ilya Silchukov berichtet leider zu wenig über seine
„Vision fugitive“ aus Massenets „Herodiade“, die er
doch vokal so sicher zu packen weiß.
Ein Proto-Typ für einen lyrischen
Sopran ist Olga Bezsmertna, mit ausgeglichenem, silbernen Klang und
agiler Stimmführung. Ihre Stimme klingt authentisch und flackert
nur in den Höhen etwas unruhig, aber ihr „O Dieu! Que de
bijoux“ aus „Faust“ ist schon ein wahrer brillanter Genuss.
Zudem hat das Konzert auch den passenden Doktor Faust zu bieten, wie
Victor Hernandez mit „Salut, demeure chaste et pure“
voller langer Legato-Bögen und sicheren Höhen zeigt. Sein
Tenorkollege Jinxu Xiahou ist der jüngste Teilnehmer der
Semi-Finalisten und stellt mit Belmontes „Konstanze, dich wieder
zu sehen“ ein unglaubliches Talent unter Beweis. Eleazar
Rodriguez hat für den Tenor-Schlager schlechthin, „Una
furtiva lagrima“, den passenden Schmelz und langen Atem,
irritiert aber mit unnötigen Portamenti. Ebenso sehnsuchtsvoll
singt Paulina Gonzalez Melgarejo mit schön schlichter
Stimmführung das Lied an den Mond aus „Rusalka“. Guadalupe
Barrientos lädt die große Szene der Charlotte aus
„Werther“ mit lodernden Gefühlen auf, die ihre Stimme aber
zuweilen in Unruhe versetzten. Maria Celeng stellt bei den
„Zigeunergeigen“ aus der „Gräfin Mariza“ eine
Sangeslust und enorme Präsenz unter Beweis, dreht sich quirlig
im Kreise, kann aber in der Tiefe nicht über das Orchester
hinaus kommen. Die Duisburger Philharmoniker mischen sich auch sehr
schön mit Daniel Raschinskys Bariton, der „Mein Sehnen,
mein Wähnen“ mit liedhafter Eleganz und Emotion vorträgt.
Dirigent Alex Kober demonstriert
beispielhaft hier sein Konzept für den Abend. Der Sänger
wird aufmerksam und schlank begleitet, ohne das man auf die vielen
Feinheiten der unterschiedlichen Stile zu verzichten braucht.
Insgesamt eine hervorragende Leistung, die sich die Bertelsmann
Stiftung von der Deutschen Oper am Rhein eingekauft hat
Die Jury hört den Beiträgen
aufmerksam zu und macht sich Notizen. Einige Teile des Publikums
diskutieren lieber direkt während der Arie schon mit ihrem
Nachbarn darüber, erreichen aber kein kritisches Niveau, sondern
bleiben bei Floskeln alla „Kennst du das?“ - „Eine herrliche
Melodie“ - „Das habe ich neulich von der Netrebko gehört“
stecken. Schlichtweg unglaublich, dass einige Zuschauer nicht
begreifen, dass dieses Konzert nicht nur ein buntes Klassik-Programm,
sondern ein Wettbewerb ist, wo die gesamte Konzentration im Raume dem
Sänger auf der Bühne helfen kann. Eine Sonderstellung nimmt
der Block vorne links vor der Bühne ein: Hier demonstrieren die
nicht weiter gekommenen „Neuen Stimmen“ beim Applaus lautstarke
Unterstützung.
Der Publikumspreis hingegen zeigt viel
Sachverstand, denn Jongmin Park hat für sein „Come dal ciel
precipita“ die meisten Stimmen bekommen. Die Jury entscheidet sich
für 6 Sänger, die das Finale bestreiten: Jinxu Xiahou,
Nadezhda Karyazina, Cristina-Antoaneta Pasaroiu, Jogmin Park, Olga
Bezsmertna und Maria Celeng.
Finale:
Medici.TV überträgt das
Finale live im Internet und so kann man dem etwas geringeren
Kartenkontingent schlau entgehen. Die sechs Stimmen bieten ein tollen
Sänger-Wettstreit mit herrlichen Melodien. Maria Celeng gelingt
die „Ah, non credea mirarti“ mit wirbelnden Koloraturen
ausgezeichnet, singt dafür aber „Ach ich fühls“
technsich zwar sicher, aber emotional aufgesetzt und vermag nicht zu
berühren.Nadezhda Karyazina singt das Lied des Lel von Korsakow
und die Seguidilla aus Carmen mit bombastischen Material. Tenor
Xiahou Jinxu hinterlässt mit „Che gelida manina“ einen
blendenden Eindruck, wenngleich seine Höhen unter Dampf stehen,
und macht mit einem schmelzgeladadenem „Dein ist mein ganzes Herz“
sozusagen das Licht aus. Cristina-Antoaneta Pasaroiu singt Bellinis
Julia und Rusalkas Lied an den Mond mit herrlich lieblichen Sopran
und sanfter Höhe. Jongmin Park macht aus „La calunnia“ ein
Kabinettstückchen und schafft es sogar bei Webers „Schweig,
schweig“ für einen Augenblick Dämonie im feierlichen
Rahmen aufkommen zu lassen. Nicht unerwähnt bleiben dürfen
hier die Duisburger Philharmoniker, die unter AlexKober fantastisch
und facettenreich begleiten.
Die Gewinnerin des Abends wird Olga
Bezsmertna, die bei „Depuis le jour“ und „Dove sono“
Charakterstärke und lyrische Qualitäten demonstriert. Eine
wunderschöne Stimme, die ein paar Schärfen noch aus der
Höhe heraus korrigieren müsste.
Herzlichen Glückwunsch an alle
Teilnehmer!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen