Wenn eine Inszenierung eine sehr umfangreiche Erklärung im
Programmheft benötigt, dann kann man schnell ahnen, dass die Regiearbeit etwas
mehrdimensionaler ausfallen wird. Die Tannhäuser-Inszenierung von Sebastian
Baumgarten hatte bereits bei ihrer Premiere im letzten Jahr einige Erklärungen
nach sich ziehen müssen, um den totalen Durchfall bei Presse und Kritik zu schmälern.
Doch auch im Jahr 2012 bleibt Baumgartens Produkt eine Reißbrettarbeit, die
zwar in der Theorie des Programmheftes noch einigermaßen verständlich und
plausibel ist, auf der Bühne aber nicht weniger theoretisch und künstlich
ausfällt als auf dem Papier und ohne dieses vielfach unverständlich ist.
Der Ansatz bei einer monotonen Arbeits-Gesellschaft, in der Außenseiter und Quergänger nicht erwünscht sind, ist sicherlich nicht falsch gewählt, doch verzettelt sich Baumgarten einer müde-machenden Symbolik und Überfrachtung der Szene, dass man wichtige Details – sofern vorhanden – nicht mehr wahrnimmt. Auch manches Video im Hintergrund (Christopher Kondek) bleibt nicht nur je nach Sitzplatz ein Geheimnis. Ganze Abschnitte sind zum Teil grotesk überzeichnet, so etwa die erste Begegnung zwischen Tannhäuser und Elisabeth, andere sind unfreiwillig komisch wie der gesamte erste Akt. Von Erotik ist im Venusberg, der wie ein runder Zirkuskäfig aus dem Boden von Joep van Liesaut gigantischer Bühneninstallation fährt, keine Spur. Statt dessen wundert man sich über Körperakrobatik von affenähnlichen Wesen und belächelt amüsiert die Statisten, die in ihren Latexkostümen – so beteuert es das Programmheft – Spermien darstellen sollen, und doch eine Mischung aus Amöben, Flundern und Kaulquappen repräsentieren. Für die Kostüme, die übrigens allesamt nicht schön, aber passend zur Inszenierung gewählt sind, ist Nina von Mechow verantwortlich.
Lediglich im zweiten Akt blitzt beim Sängerwettstreit eine
natürliche, unverkrampfte Personenführung auf, die man ansonsten weitgehend
vermisst. Auch die Rolle der Minnesänger inmitten der Alkohol konsumierenden
Masse bleibt weitestgehend unbeleuchtet. Stattdessen werden die Pilger – hier:
Individuen, die nicht in die organisierte Gesellschaft passen – erst geplündert
und dann in einer Holzkiste, aus der leichter Rauch strömt, entsorgt.
Und spätestens im grandiosen Finale des zweiten Aktes fällt
auf, dass die Musik sich in diesem Fall nicht von der kruden Regie unterkriegen
lässt. Im Gegenteil: Das Orchester der Bayreuther Festspiele entfacht so einen
intensiven, musikalischen Sog, dass nach und nach alles Rätselraten über die
Szene als unwichtig ausgeblendet wird. Unter der Leitung von Christian
Thielemann gelingt dem Orchester ein wahres Wagner-Wunder: Da leuchtet der
Venusberg in sinnlichen Farben der Streicher, die Blechbläser suggerieren
himmlische Vergebung, die aus menschlicher Sicht eigentlich nicht stattfinden
darf. Thielemann wählt zudem ein recht flüssiges Tempo, so dass die Handlung
stets voranschreitet, auch wenn die Musik zuweilen verzaubert innehält. Das
kommt auch den Sängern zu Gute und die Festspiele bieten ein Ensemble auf, wo
jeder einzelne den Erfolg des Kollektivs garantiert.
Einen Löwenanteil daran hat natürlich der hervorragende, in
jedem Punkt der Dynamik bestens disponierte Chor, den Eberhard Friedrich so mustergültig
einstudiert hat. Auch die kleinen Rolle wie der Hirt der fantastischen Katja
Stuber, Reinmar von Zweter (Martin Snell) oder Heinrich der Schreiber (Arnold
Bezuyen) sind dermaßen auf den Punkt gesungen, dass sie im Ganzen eine wichtige
Position einnehmen. Als Biterolf und Walther von der Vogelweide nutzen Thomas
Jesatko und Lothar Odinius ihre wenigen Verse um sich nachhaltig zu empfehlen.
Günther Groissböcks Landgraf ist hohe Sangeskunst pur. Der Bassist scheint in
der Höhe wie in der Tiefe keine Grenzen zu kennen. Michelle Breedt könnte als Venus
noch eine Spur verführerischer klingen, singt aber ansonsten tadellos und
klangschön. Camilla Nylund muss auf der Bühne gestelzte Madonnen-Gestik
vollbringen, stimmlich klingt ihre Aufopferungsbereitschaft wesentlich
subtiler, schöner und natürlicher. Den Wolfram singt Michael Nagy mit
berührender Intensität und formschönen Bariton. Torsten Kerl schließlich
bewältigt die mörderische Titelpartie mit großer Leidenschaft und singt dabei
stets mit sehr attraktivem Tenor. Zudem ist seine Textverständlichkeit sehr
hoch und auch in den großen Ensembles kann er ohne zu forcieren sich
durchsetzen. Dank seiner starken Kondition vermag er auch noch in der
Romerzählung spannend zu gestalten.
Als der letzte Ton verklungen ist, vernimmt man direkt
einige grollende Buhs, doch die weichen ganz schnell einem einhelligen
Enthusiasmus für die Künstler. Szenisch bleibt der Tannhäuser ein ganz großer
Schwachpunkt der Bayreuther Festspiele, musikalisch dagegen ist diese
Produktion mehr als festspielwürdig.
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