Die Ruhrtriennale hatten einen Coup gelandet, als sie Teodor
Currentzis und sein Orchester MuciaEterna für Wagners Rheingold gewinnen
konnten. Freilich sollte das kein Auftakt zu einem neuen Ring werden, sondern
ein Beitrag unter dem Stichwort Götterfall. Dass Intendant Johan Simons selber
inszeniert, unterstreicht den Willen zur Aussagekraft.
Gleich vorweg: Simons und Currentzis leisten sich den Luxus,
Wagners durchkomponierte Musik zu unterbrechen. Wobei Unterbrechung ist das
falsche Wort. Mika Vaino, finnischer Musiker und DJ, fängt die Hammerschläge
der Nibelungen ein und bringt sie ein eine Art Wiederholungsschleife, gemischt
mit anderer elektronischer Musik. Der Klang der arbeitenden Gesellschaft erhebt
sich fast wie ein kleiner Aufstand. Selbst aus dem Orchester, das somit gerade
Pause hat, ergreifen einige Musiker bereit gelegte Hammer und rennen klopfend
und hämmernd, durch die Kulturkathedrale, wo einst diese Geräusche der Arbeit
ihr zuhause hatten. Ein Hausdiener Wotans, Sintholt – mehr als nur engagiert
gespielt von Stefan Hunstein – ereifert sich via Megafon in einer großen
Kapitalismuskritik gegen all die Wotane und Alberiche, die da draußen aktiv
sind.
Es ist ein Gesamtkunstwerk, was Currentzis, Simmons und
Vaino aus dem Rheingold gemacht haben, dem Vorabend der schon alles sagt, was
gesagt werden muss. „Alles, was ist endet“ und „falsch und feig ist was dort
oben sich freut.“ In dem der Betrug gesät wird, in dem erstmals die Liebe unter
die Räder der Macht gerät, und in dem das Ende der Götter durch Loge prophezeit
wird. Die Jahrhunderthalle, von Bettina Pommer genial in drei Ebenen geteilt,
wird dabei zum Ort des Endes und des Anfangs zugleich. Unten ein zerbrochenes
Deckenfresco, vollgelaufen mit Wasser, ein Kronleuchter der nach oben hängt. Auf
der zweiten Ebene wohnt das Orchester nebst 50 Statisten, die das Zuschauen
symbolisieren und näher sind, als der Rest des Publikums sein kann. Die dritte
Ebene ist Wallhall selbst, ein verschlossener Bunker, nur zum Rein- nicht zum
Rausschauen, Türen die sich nicht öffnen. Alles ist noch eingerüstet. Die ganze
Anlage scheint bespielbar zu sein, ein eigener Kosmos aus Arbeit, Musik und
Prunk. Selbst die Sonne spielt mit, als sie sich zum Ende der Nachmittagsvorstellung
sich hinter Wallhall herabsenkt und die Zuschauer blendet. Abendlich strahlt
der Sonne Auge singt Wotan…
Dem Konflikt zwischen Wotan und Alberich hat der Regisseur
Simmons die meiste und gelungenste Aufmerksamkeit gegeben. Gerade die
Personenführung des ersten und dritten Bildes ist sehr stark und intensiv. Aber
seine Regie hat auch Schwächen. Leider geht der Austausch Gold gegen Freia ziemlich unter, wo doch hier Kapitalismus pur kritisiert wird. Die zeitnahe Inszenierung wird durch kleine Details unterstrichen, wie zum Beispiel, dass Wotans Speer ein Kugelschreiber ist.Der Rest der Götterfamilie wird völlig
überzeichnet und veralbert, was der Kritik an diesem arroganten Pack die
Substanz nimmt. Auch mit zu viel
symbolischen Aktionismus wird manche Szene etwas in die Länge gezogen.
Aber die Sänger wissen da einiges zu kompensieren.
Insbesondere Wotan und Alberich, Lichtalbe und Nachtalbe, in Gesang und Körpersprache
die Gegensätze schlechthin. Auf der einen Seite Leigh Melrose als Alberich, der
von Teresa Vergho in Latzhose und Gummistiefeln gekleidet wird. Dieser Arbeiter
sieht sich von der Liebe verraten und von den Mächtigen enttäuscht. Wenngleich
er nicht immer „richtig“ singt, ist seine Interpretation nichts weniger als
eine kleine Sensation. Auf der anderen Seite Mika Kares als eben sehr
kontrollierter Göttervater Wotan, dem alle Töne, Tiefen und Höhen zur Verfügung
stehen. Da er in seiner nobel-arroganten Haltung verharren darf, sind seine
Abgründe umso offensichtlicher: Wenn er Alberich an den Beinen durch das Wasser
zieht oder wenn er völlig gebrochen zu Erda kriecht.
Am Ende dieses Rheingoldes gibt es personell keine Gewinner.
Die Götterfamilie sind Ausgestoßene aus ihrem teuer erkauften Haus. Mime und
Alberich, Wotan und Erda, Fafner und sein toter Bruder sind gestrandete Wesen
zwischen Steinen und Wasser, beobachtet durch den apathischen Rest. Im Stehen
musiziert MusicaEterna diesen Einzug der Götter nach Wallhall. Bei Currentzis,
diesem Dirigenten, der so gar nicht wie ein Dirigent aussieht, klingt es in dem
unnachgiebigen Rhythmus der Pauke fast wie der zweite aus dem Deutschen Requiem
von Brahms. Seine Interpretation revolutionär zu nennen, wäre zu viel. Aber
spannend ist sie. Mit dem Vergrößerungsglas setzt er sich an die Partitur. Was
schnell ist, wird noch schneller - was laut ist, wird noch lauter – und was
leiser ist,… und da entstehen packende Momente, wo Wagners Musik einerseits
mitreißt und andererseits so sehr berührt. Das Drama ist zum Greifen nach, weil
dieses junge Orchester so gut spielt und weil das Ensemble so wortgetreu und
engagiert singt.
Das Publikum feiert sie alle ohne Ausnahme: Andrew
Foster-Williams darf den Donner nur kräftig singen, aber nicht spielen. Rolf
Romei ist als Froh für das tenorale Gefühl zuständig. Denn Peter Bronder wartet
als bissiger Loge eben mit der Spur von Charakterstärke auf, die reinen
Schöngeist verbietet. Er ist einer von zwei Veteranen dieser Produktion. Die
andere ist Jane Henschel, die als Erda fast das gesamte Drama beobachtet und
dann Erdas Warnung in Zeitlupe singen darf und kann. Grandios! Maria Riccorda
Wesseling spielt zickig und dabei singt sie die Fricka so wunderschön feminin. Agneta
Eichenholzs Stimme ist ebenso klar und schimmernd wie das für die Freia so
unerotische Lackkostüm, das irgendwie gar nichts mit der Göttin der Jugend zu
tun hat. Rührend und mit toller Stimme setzt sich Elmar Gilbertsson als Mime
für seinen Bruder ein, obwohl dieser ihn so misshandelt hat. Schön
unterschiedlich sind die Riesen besetzt: Die lyrische Stimme bietet Frank von
Hove als Fasolt, die brutalere Stimme leiht Peter Lobert dem gierigen Fafner.
Großes Kompliment an das homogenste Rheintöchtertrio seit langer Zeit: Dorottya
Láng, Anna Patalong und Jurgita Adamonyte singen wahrlich sirenenhaft.
Für das Publikum ist es sicher kein leichtes Rheingold. In
der Aufmachung alles andere als kurz- oder langweilig und in der Akustik alles
andere als unproblematisch. Diese Aufführung verlangt Aufmerksamkeit. Interessant,
dass selbst Schokokuchen mampfende Nachbarn nicht stören und selbst auch nicht
abgelenkt wirken. Und dass einige Arme – manche mehr, manche weniger – zucken
und kreisen, ist angesichts des musikalischen Flusses sehr verständlich. Nach
fast drei Stunden Aufführungsdauer explodiert das Publikum zu einem kurzen aber
frenetischen Applaus. Vielleicht hat sich der ein oder andere auf dem Rückweg noch mal den kleinen Einstimmungssoundtrack angehört, den Mika Vainio auf der Homepage der Ruhrtriennale zum Herunterladen bereitgestellt hat. Wer sich die 16 Minuten angehört hat, wird schnell merken, dass es eben dieser Es-Dur Akkord in allen Variationen ist, mit dem der unberührte Naturzustand bei Wagner beschrieben ist. Mehr als ein Raunen ist kaum noch davon übrig, aber präsent ist allemal!
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