Hätte Wagner „das Rheingold“ nicht ohne Pause komponiert, so wäre wohl im Musiktheater im Revier nach der ersten Szene „In der Tiefe des Rheins“ ein Applaus ausgebrochen, den man sonst nur nach dem ersten Walküren-Akt zu hören bekommt. Schon die erste halbe Stunde demonstrierte eine musikalische Klasse, die das „Rheingold“ wirklich veredelte. Kaum zu glauben, dass Rasmus Baumann seinen ersten Wagner überhaupt dirigierte und auch die etwa 100köpfig besetzte Neue Philharmonie Westfalen hatte sich seit etwa 8 Jahren nicht mehr mit Wagner auseinander gesetzt. Allein das Vorspiel schimmerte schon in all seiner mystischen Pracht, steigerte sich zu den wogenden Wellen des Rheins. Rasmus Baumann dirigierte den Abend wundervoll ausbalanciert: Viel Zeit ließ er sich für die lyrisch-mystischen Stellen (Tarnhelm-Motiv, Entsagnungs-Motiv), wusste aber auch die dramatischen Zuspitzungen mit viel rhythmischen Gespür zu leiten, die er durch kleine Sprünge auf seinem Pult unterstrich.
In der ersten Szene herrschte eine musikalische Geschlossenheit, die schon an Perfektion angrenzte und intensive Momente mit Gänsehaut-Garantie erreichte. Da strahlte das Terzett der Rheintöchter, wie man es selten so gehört hat. Angeführt wurde es von Alfia Kamalova, die mit ihrem wundervoll schwebenden Sopran die leuchtenden Höhen im Terzett ausmachte. Dagegen hoben sich die dunkleren Stimmen von Dorin Rahardja und Almuth Herbst sehr gut ab und bildeten ein sicheres Fundament. Da es eine konzertante Aufführung am Notenständer war, blieb natürlich die szenische Verspottung Alberichs aus. In dieser musikalisch glücklichen Konstellation wusste auch Björn Waag als Alberich die gedemütigte Person zu mimen, ohne aber jemals eine wirklich gesungene Interpretation zu verlassen. Sein Alberich konnte auch zwergisch keifen, doch vor allem lieferte eine menschliche Charakterstudie ab, in der sein fast tenoraler Bariton mit enormer Durchschlagskraft und sehr guter Aussprache fesselte und begeisterte.
Auch ohne die körperliche Aktion blieb der Kontakt zwischen den Personen den ganzen Abend über nicht aus und jeder Sänger wusste auf seine Art seiner Rolle ein Profil zu geben. Andreas Macco wirkte als Wotan fast statuarisch unbeteiligt, so dass er fast gelassen über den Dingen zu stehen schien und erst bei der Begegnung mit Erda seine göttliche Überheblichkeit verlor. Auch stimmlich war sein Wotan geprägt von einer bodenständigen Sicherheit. Gerade aber im Vergleich mit dem fulminanten Björn Waag zog er deutlich den Kürzeren. Deutlich profilieren konnten sich im zweiten Bild auch das kleinere Personal. Sichtbar getrennt standen sie auf der Bühne: Links die Götter-Familie, rechts die Riesen mit Freia und so flog zu den besten Momenten der Kopf zwischen den Parteien wie bei einem Tennisspiel hin und her. Dong-Won Seo verkörperte den sanfteren Riesen Fasolt mit lyrischem Bass, während Joachim G. Maaß den gierigen Tonfall des Fafner punktgenau traf. Paroli bekamen sie mit zupackenden Stimmen von Pjotr Prochera (Donner) und Lars Oliver Rühl (Froh), die in ihren eher undankbaren Rollen nie die Spannung verloren und auch in ihren langen Pausen große Präsenz zeigten. Zu Gefallen wusste auch Petra Schmidt als Freia.
Mächtig durcheinander gewirbelt wurde die Aufführung durch William Saetre als Loge und leider nicht nur im positiven Sinne. Schon bei seinem Auftritt verscheuchte er kurzerhand Gudrun Pelker von ihrem Pult, um sich zwischen Wotan und dem Dirigenten zu positionieren und von dort aus listig zu agieren. Mag der Charaktertenor durchaus prädestiniert für den windigen Feuergott sein, lies er vor allem in Punkte Genauigkeit viele Wünsche offen. Viele falsche, verspätete oder verfrühte Einsätze brachten selbst das bis dahin so sichere Orchester arg ins Schwimmen, so dass für einige Minuten doch der chaotische Aspekt der Figur unfreiwillig im Vordergrund stand. Doch Rasmus Baumann suchte aufmerksam den Kontakt mit ihm, um diese Abendschwäche so gering wie möglich zu halten. So geriet besonders die dritte Szene zu einem wahren Feuerwerk des Konversationstons, der vom Orchester noch zusätzlich angefeuert wurde. Bei Mark Bowman-Hester fiel vor allem auf wie kurz die Rolle des Mime ist. Gerne hätte man mehr von diesem tollen Tenor gehört.
Dem vierten Bild setzte Gudrun Pelker die Krone auf: Nachdem Björn Waag mit einem packendem Fluch die Bühne verlassen hatte, wechselte sie von der Rolle der Fricka, der sie einen resolut-fordernden Ton gegeben hatte, zu der Göttin Erda. Deren Warnung klang nun in aller dunklen Pracht in berührender Natürlichkeit. Für diese Doppelrolle bekam sie am Ende zu Recht lautstarke Ovationen. Überhaupt war das Publikum in Gelsenkirchen sehr aufmerksam und begeistert, feierte die Musiker schon nach dem letzten Ton mit vielen Bravo-Rufen, wusste dabei aber auch von Sänger zu Sänger differenzieren. Ganz hoch in der Publikumsgunst stand natürlich auch Björn Waag als Alberich.
Leider wird dies der vorerst einzige Ausflug in die Welt von Wagners „Ring“ bleiben. Schade, hätte doch gerade Rasmus Baumann mit seiner Interpretation auch die Auseinandersetzung mit den weiteren Teilen zu einem spannenden Ereignis werden lassen. Dieses „Rheingold“ wird mit seiner musikalischen Qualität, wo Wagner noch gesungen und nicht gebrüllt wurde, noch lange im Gedächtnis bleiben.